„Die jüngsten Gesetzesänderungen haben die „Erbschaft zu Lebzeiten “ erhöht, da viele Eltern die derzeitige vorteilhafte Steuersituation nutzen, um einen Teil ihres Vermögens an ihre Nachkommen weiterzugeben“.

Interview mit Álvaro Delgado, stellvertretender Dekan der Notarkammer der Balearischen Inseln und Inhaber des Notariats Notaría Unión

Welchen Herausforderungen müssen sich die Notariate aus ihrer Sicht als Vizedekan der Notarkammer der Balearen heutzutage stellen, vor allem im Hinblick auf die wirtschaftlichen und sozialen Besonderheiten der Balearen?

Die Notariate auf den Balearen stehen derzeit vor zwei Arten von Herausforderungen: einerseits einer organisatorischen und andererseits einer technologischen.

Die organisatorische Herausforderung besteht darin, eine angemessene Antwort auf alle Aufgaben zu geben, mit denen wir derzeit betraut sind (wir erledigen mittlerweile Tätigkeiten, die früher typisch für die Gerichte waren, wie z.B. Eheschließungen, Scheidungen und andere Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit), wobei wir unsere Büros und unser Personal an die fluktuierende Arbeit, an die Flut von Gesetzen und an die Hektik und die Anforderungen der heutigen Gesellschaft anpassen müssen. Heutzutage ist es nicht einfach, ein Notariat einzurichten und die Mitarbeiter eines Notariats angemessen zu schulen, da der Grad der Spezialisierung zunimmt und es auf unseren Inseln nur ein geringes Angebot gibt.

Darüber hinaus stehen wir vor einer wichtigen technologischen Herausforderung. Vor zwei Monaten fand im spanischen Notariat eine echte Revolution statt, als die elektronische Urkundenrolle per Gesetz eingeführt wurde sowie die Möglichkeit, einige Urkunden und Bankpolicen per Videokonferenz zu beurkunden. Dies bedeutet eine große Investition in Ressourcen und Ausbildung und ist auch der Ausgangspunkt für einen radikalen Wandel in unserem Beruf, der seit mehr als 500 Jahren ausschließlich auf physischer Anwesenheit und Papierdokumenten beruht. Die papierbasierte Urkundenrolle wird nicht verschwinden, aber die neue elektronische Urkundenrolle wird Privatpersonen und Unternehmen die Fernbeurkundung und den telematischen Zugriff auf ihre Dokumente erleichtern.

Wie beurteilen Sie vor dem aktuellen Hintergrund, nach Jahren hoher Inflation und steigender Kreditzinsen, den Stand der ausländischen Investitionen auf Mallorca und wie wirkt sich dies auf die Zahl der notariellen Urkunden aus? Hatte der Brexit starke Auswirkungen?

Im vergangenen Jahr 2023 haben wir einen deutlichen Rückgang der Immobilieninvestitionen auf Mallorca festgestellt. Der rasante Anstieg der Zinsen (4 Punkte in einem Jahr), die komplexe globale geopolitische Lage und die Wirtschaftskrise in einigen für uns wichtigen Ländern wie Deutschland haben sich auf die Investitionszahlen und die Anzahl der Urkunden ausgewirkt. Was den Brexit betrifft, so hat er keine wesentlichen Veränderungen bei den Investitionen britischer Staatsbürger bewirkt, obwohl er die Bürokratie für ihre Akquisitionen, vor allem im ländlichen Raum, verkompliziert hat, da sie nicht mehr unter die europäischen Regelungen fallen, die sie zum Beispiel von der Einholung einer militärischen Genehmigung befreit haben.

Wie wirken sich Ihrer Meinung nach die neuen Gesetzesänderungen zur Erbschaftssteuer auf die Bearbeitung von Erbschaftsannahmen auf den Balearen aus?

Die jüngsten Gesetzesänderungen auf den Balearen haben zu einer bemerkenswerten Zunahme von Erbschaftsvereinbarungen (den so genannten „Erbschaften zu Lebzeiten“) geführt, da viele Eltern die derzeitige vorteilhafte Steuersituation nutzen wollen, um die Übergabe eines Teils ihres Vermögens an ihre Nachkommen vorzuziehen, in der Annahme, dass sich die künftige Besteuerung aufgrund politischer Veränderungen oder eines vereinheitlichenden Eingriffs der Zentralregierung verschlechtern könnte.

Ihre berufliche Beziehung zu Buades Legal reicht mehrere Jahrzehnte zurück. Verraten Sie uns, wie weit die Beziehung zurückreicht und wie sie sich im Laufe der Jahre hinsichtlich der Art der Angelegenheiten, in denen Sie zusammengearbeitet haben und derzeit zusammenarbeiten, entwickelt hat.

Ich habe seit mehr als 25 Jahren eine sehr gute persönliche als auch berufliche Beziehung zu Joan Buades (wir waren zusammen im Vorstand des RCD Mallorca) und ich habe mit allen Mitgliedern der Kanzlei zusammengearbeitet, insbesondere mit denen, die sich mit Immobilien- und Handelsangelegenheiten beschäftigen. Die Art der bearbeiteten Angelegenheiten ist ähnlich, aber was sich stark verändert hat, ist die Gesetzgebung und die Komplexität der aktuellen Dokumente. Vor einigen Jahrzehnten umfassten Kaufverträge 5 oder 6 Seiten. Heute haben sie mehr als 30 Seiten und müssen eine Menge administrativer Formalitäten erfüllen, die es früher nicht gab.

Die künstliche Intelligenz revolutioniert alle Wirtschaftsbereiche und es scheint, dass Recht und Gesetzgebung keine Ausnahme bilden. Was halten Sie von dieser neuen Realität und wie wird sie Ihrer Meinung nach die tägliche Arbeit des Notariats beeinflussen?

Notare befinden sich mitten in einer technologischen Revolution, bei der KI kein Fremdwort sein wird, denn sie wird uns in Zukunft bei der Erstellung von Dokumenten und bei vielen internen Prozessen der elektronischen Urkundenrolle und unserer umfangreichen Zusammenarbeit mit öffentlichen Verwaltungen helfen. Meiner Meinung nach hat die KI unbestreitbare Vorteile und erhebliche Risiken, die eine angemessene Regulierung ihres Einsatzes und ihrer Grenzen erfordern werden. Aber wie bei der Einführung von Handys, Computern, Kopierern oder dem Internet ist jede technologische Innovation immer gut, sie muss nur richtig eingesetzt werden.