«Die Folgen des Brexit werden wir eher langfristig spüren, womöglich diesen Sommer, oder 2022»

Interview mit Antoni Mercant, Vorsitzender der Handelskammer von Mallorca

Bald ist es schon ein Jahr her, dass die Covid-19-Pandemie begonnen hat. Welche Hauptprobleme berichten die Unternehmen, und wie versucht die Handelskammer von Mallorca, ihnen mit der Verwaltung von europäischen Mitteln zu helfen?

Die Ungewissheit ist äußerst beunruhigend. Niemand kann genau vorhersagen, wann wir zur Normalität zurückkehren werden. Das Licht am Ende des Tunnels ist zu sehen, aber es ist keineswegs das gleiche, ob die Einschränkung der Mobilität im März gelockert wird, oder erst im Juli oder September. Und die Ungewissheit ist nicht nur eine Frage der Termine, sondern auch der Vorschriften darüber, was wir heute tun können, aber morgen nicht. Die Regeln ändern sich ständig. Kein Land der Welt hat eine perfekte Lösung gefunden. Diese Ungewissheit erschwert es uns, die Zukunft zu planen, mit den entsprechenden wirtschaftlichen Konsequenzen: Wann kann ich meine Angestellten aus der Kurzarbeit holen? Reicht mein Einkommen mit so vielen Einschränkungen aus? Werde ich all die Kosten decken können, die weiterhin anfallen? Wann werden wir wieder Touristen auf den Straßen sehen?

Die Handelskammer begleitet die Unternehmer in dieser schwierigen Situation. Wir informieren und beraten über die bestehenden öffentlichen Hilfen und erbringen unsere Dienstleistungen weiterhin kostenlos, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Behörden: Abwicklung der An- und Abmeldung von Selbstständigen, Unternehmenspläne für Frauen, Abwicklung (jetzt telematisch) der Dokumente für die Ausfuhr, Direkthilfen für technologische Innovation, etc.

Vor Kurzem hat die Spanische Kammer ein Internetportal und eine Unterstützungsabteilung namens ,Objetivo Transformación’ („Ziel: Wandel) geschaffen, um Informationen über alle öffentlichen Projektausschreibungen zusammenzutragen, die mit europäischen Mitteln finanziert werden können. Diese werden sicher ein wertvolles Tool für die Beratung über die rechtlichen Rahmenbedingungen, die gesetzlichen Neuheiten und die anwendbaren Verfahren für die verschiedenen Förderprogramme sein.

Ich bin überzeugt, dass das Kammersystem aufgrund seiner öffentlich-privaten Natur eine wichtige Rolle bei dem vom Fonds Next Generation möglich gemachten Prozess der Erholung und des Wiederaufbaus unserer Wirtschaft spielen wird.

Die Abhängigkeit der mallorquinischen Wirtschaft vom Tourismus steht außer Frage. Welche Vorhersage trifft Ihre Einrichtung für den Ablauf der nächsten Sommersaison?

Die kommenden Monate sind entscheidend dafür, wie der Sommer ablaufen wird. Zunächst müssen wir die Pandemie unter Kontrolle bekommen: Wir fordern eine agile und zügige Impfung. Und natürlich, dass die Einschränkungen der Mobilität und des sozialen Kontakts nach und nach und auf sichere Weise aufgehoben werden. All das nicht nur in Spanien, sondern auch in unseren wichtigsten Herkunftsmärkten. Zweitens müssen wir das Vertrauen als sicheres Reiseziel zurückgewinnen. Wir können auf keinen Fall noch einen Sommer verlieren.

Glauben Sie, aus Ihrer Sicht, dass diese Gesundheitskrise in geringerem oder größerem Umfang das Produktivitätsmodell der Inseln verändern wird? In welche Richtung werden sich Ihrer Meinung nach die zukünftigen Schritte unserer örtlichen Wirtschaft hinbewegen?

Das Modell kann nicht von heute auf morgen verändert werden. Aber wir müssen diese Situation nutzen, um es zu verbessern. In den letzten fünf Jahrzehnten hat der intensive Aufschwung des Tourismussektors in Hinblick auf den Arbeitsmarkt als Anziehungspunkt für die Einwanderung gewirkt und die Bevölkerung verdoppelt. Dazu kommen 15 Millionen Touristen, die sich praktisch auf 3 Monate konzentrieren, sodass die Menschenmassen das Gebiet überfüllen und die Gesellschaft und die Umwelt aus dem Gleichgewicht gebracht werden.

Vor diesem Hintergrund setzt die Handelskammer auf ein Wirtschaftswachstum, bei dem der Tourismus zweifellos unser Antriebsmotor bleiben wird, aber bei dem unsere natürlichen Ressourcen geschützt und die Lebensqualität unserer Bürger verbessert werden. Es ist schwer, die Industrie zurückzugewinnen, die wir in diesen Jahren verloren haben. Aber wir müssen darum kämpfen, unseren landwirtschaftlichen Sektor wiederzubeleben und Schritte in Richtung der grünen und blauen Wirtschaft unternehmen, sowie klar auf die technologischen Branchen setzen.

Können Sie aufgrund Ihrer Erfahrung an der Spitze der Handelskammer von Mallorca irgendwelche neuen, aufkommenden Aktivitätssektoren identifizieren, die kurz- oder mittelfristig unser BIP anstoßen könnten?

Der Schifffahrtssektor könnte eine ideale Ergänzung darstellen, um Wohlstand zu generieren. Wir verfügen über die besten Reparatur- und Instandhaltungsbetriebe des gesamten Mittelmeerraums. Daher hat die Kammer dieses Jahr erfolgreiche die erste virtuelle Messe des Schifffahrtssektors der Balearen, die Balearic Yacht Show, organisiert. Unser Ziel ist es, dass diese zur weltweiten Referenz wird. Aktuell arbeiten wir bereits an der Webseite Balearic Marine, um an die Messe anzuknüpfen und 365 Tage im Jahr alle Informationen in Verbindung mit diesem Sektor zu bündeln, sodass sie zu einem Treffpunkt für Angebot und Nachfrage sowie zu einer potenten Förderplattform des Sektors wird.

Zu den Auswirkungen der Pandemie auf den Inseln kommen zudem die Folgen des Brexit. Können Sie uns eine kurze Bestandsaufnahme der wesentlichen Auswirkungen des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU auf Mallorca geben?

Es ist noch zu früh, um die ersten Folgen zu analysieren. Das Vereinigte Königreich gilt kaum 30 Tage als „Drittland“. Das Abkommen umfasst einen Übergang hin zu neuen Handelsbeziehungen, die nach und nach eingeführt werden. So wurde bei der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen klassifiziert, welche ab Januar einer Zollkontrolle unterzogen werden und welche erst ab März, um Überlastungen zu vermeiden.

Auf der anderen Seite ist klar, dass wir aufgrund von Covid-19 nicht die wahren Auswirkungen sehen: die Ein- und Ausfuhr von Produkten ist auf ein Minimum beschränkt und es reisen keine Touristen an. Die Folgen des Brexit werden wir eher langfristig spüren, womöglich diesen Sommer, oder 2022. Auch werden wir sehen, wie die englischen Bürger auf diese neuen Spielregeln reagieren. Werden sie ihre Zweitwohnsitze verkaufen? Werden sie nicht länger in Mallorca investieren? Werden die neuen Zollbestimmungen unsere Produkte viel teurer machen oder bleiben wir weiterhin auf dem britischen Markt wettbewerbsfähig? Werden unter britischer Flagge fahrende Schiffe auf unsere Reparaturbetriebe zählen?

Mit welchen Vorsätzen und neuen Herausforderungen geht die Kammer vom Mallorca das Jahr 2021 an?

Wir stellen uns 2021 mehreren wichtigen Herausforderungen, und ich bin überzeugt, dass wir sie erfolgreich meistern werden. Um nur einige Beispiele anzuführen, ohne zu weit auszuholen, wollen wir ein Referent der Verwaltung der Next Generation Fonds werden; wir arbeiten darauf hin, im März ein Büro des Digitalen Wandeln zu eröffnen; die diesjährige Ausschreibung von Dona Impuls läuft bereits, mit welcher wir in Zusammenarbeit mit IBDona kostenlos Geschäftspläne für von Frauen angeführte Projekte erstellen; wir möchten die in diesem Monat in Betrieb genommene digitale Plattform für Exportvorgänge konsolidieren; und ich bin sicher, dass wir mit dem kürzlich eingeweihten virtuellen Campus die Anzahl der Begünstigten der kostenlosen Weiterbildungen im Rahmen der Jugendgarantie erhöhen werden.